Es war eine der kühnsten Geheimaktionen in der Geschichte der CIA: Während des Kalten Krieges versuchte der Geheimdienst ein gesunkenes sowjetisches U-Boot aus der Tiefsee zu bergen.
Anja Jardine
In den frühen Morgenstunden des 25.Februar 1968 verliess das sowjetische U-Boot «K-129» mit 98 Mann Besatzung seinen Heimathafen auf der Halbinsel Kamtschatka zu einer Routinepatrouille nordwestlich von Hawaii. Sobald es die russischen Gewässer verlassen hatte, ging es auf Tauchfahrt. Der Kapitän hatte Befehl, zwei Wochen im «silent mode» zu fahren, also nicht mit Dieselmotor nahe der Oberfläche, sondern mit Batteriestrom in der Tiefe. Der Kalte Krieg war bedrohlich geworden Ende der sechziger Jahre, immer aggressiver jagten, schikanierten und provozierten sich die Marinesoldaten auf den Meeren; schon öfter war es aufgrund waghalsiger Manöver zu Fast-Kollisionen gekommen. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel, das den Führungsstäben auf beiden Seiten Sorgen bereitete.
Seit beide Supermächte die Waffenarsenale des Feindes an Land ausspioniert hatten, galten die mit Atomwaffen bestückten U-Boote als potenzielles Tie-Break in einem Krieg, unsichtbar und mobil, wie sie waren. «K-129» trug drei Interkontinentalraketen mit nuklearen Sprengköpfen, jede in ihrer Sprengkraft 65-mal stärker als jene Bombe, die Nagasaki ausradiert hatte. Mit einer Reichweite von 1400 Kilometern waren sie die grösste Bedrohung für die Städte an der Westküste Amerikas.
Um zehn Uhr Abends am 8.März 1968 informierte die Kommandozentrale in Moskau den Wachoffizier auf der Marinebasis in Kamtschatka, dass die vereinbarte Funkmeldung von «K-129» ausgeblieben war. In den folgenden Tagen schwärmte eine ganze Armada sowjetischer U-Boote und Kriegsschiffe aus; zwei Monate lang suchte sie, unterstützt von Handelsschiffen und Flugzeugen, grossräumig nach irgendetwas Wichtigem.
Aufmerksam geworden durch die massiven Bewegungen, liess das amerikanische Verteidigungsministerium die Daten seines Unterwasser-Lauschsystems SOSUS auswerten, und siehe da: Am 11.März 1968 hatten mehrere Stationen verdächtige Signaturen aufgezeichnet, deren Quelle sich 2890 Kilometer nordwestlich von Hawaii lokalisieren liess. Das US-Spionage-U-Boot USS «Halibut» erkundete die Region mit dem tiefseetauglichen Roboter «Fish» und fand das U-Boot in 5000 Meter Tiefe am Meeresboden, zerbrochen in zwei Teile, die vorderen zwei Drittel relativ intakt. – Dort unten lag ein Schatz an Geheiminformationen: Waffentechnik, Operationspläne, Logbücher, Code-Bücher, Handbücher.
Da die Navy keine technische Möglichkeit sah, das U-Boot zu bergen, wurde die Aufgabe an die CIA übergeben, genauer gesagt: an John Parangosky. Er galt als eine Art Wundertäter; bereits mehrmals hatte er ein Talent für hochkomplexe Operationen bewiesen, vor allem bei Spionage in der Luft- und Raumfahrt. Parangosky spielte Violine, liebte französische Küche und neigte dazu, Leute im Affekt zu feuern, die er einen Tag später mit einer Entschuldigung wieder einstellte. Er war gefürchtet und beliebt. Und was die Sicherheit einer Operation anbelangte, schon fast paranoid. Deswegen kannten ihn selbst unter seinen Kollegen viele nur als JP.
«Ein Job, den du lieben wirst»
JP stellte eine Task-Force von sieben Männern zusammen, unter ihnen Ingenieure, ein Ozeanograf, ein Mathematiker, ein Chemiker. Auch Dave Sharp, ein junger Elektroingenieur, der bereits mit ihm gearbeitet hatte und ein Aufbaustudium machte, erhielt einen Anruf. Parangosky sagte:«Ich habe einen Job für dich, den du lieben wirst.» «Kannst du mir sagen, worum es geht?», fragte Sharp. «Nein.» – «Habe ich die Wahl?» – «Nein.» Eine Woche später stand Sharp auf der Matte. In seinen Erinnerungen, in denen er die Operation akribisch dokumentierte, schreibt Sharp: «Wenn Parangosky sagte, dass es ein Job war, den ich lieben würde, dann konnte ich mich darauf verlassen.»
Projekt «Azorian» war lanciert. Die Task-Force tüftelte in mehreren Monaten drei Konzepte aus: Eines bestand darin, das U-Boot mit Seilwinden anzuheben. Methode zwei und drei zielten darauf ab, im oder am Wrack Auftrieb zu erzeugen, entweder durch schwimmfähige Körper oder durch Gase im Wrack. Das war der Moment, als Global Marine ins Spiel kam, die Nummer eins im Bereich der maritimen Technologien für die Tiefsee. Nachdem Curtis Crooke, Vorstand für Technische Entwicklung, über die wahre Natur des Unterfangens eingeweiht worden war, fand das erste Treffen mit der Task-Force unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in Washington statt. Die Herren von Global Marine sollten zur Tarnung im Hotel als Präsident und Vizepräsident von «Graham Pharmaceuticals» einchecken. Crooke erzählte Dave Sharp später, dass sie sich beim Ausfüllen der Formulare plötzlich ratlos angesehen hätten, keiner von ihnen wusste, wie man «pharmaceuticals» schrieb.
Der Chefingenieur von Global Marine, John Graham, machte kein Hehl daraus, dass er die Ideen der Task-Force für wenig erfolgversprechend hielt. Graham galt als genial und in seiner Arbeit fast obsessiv. All die Konstruktionen, die Global Marine gross gemacht hatten, waren ihm zu verdanken. Wie zum Beispiel die «Glomar Challenger», ein Bohrschiff für die Forschung, das an einem Punkt im Meer Position halten konnte, damals absolut «state of the art».
Graham präsentierte einige Wochen später ein Konzept, das so einfach war wie imposant: Von einem Schiff aus würde man durch den Schiffsboden hindurch an einem Strang aus Stahlrohr eine gigantische Kralle zum Meeresboden absenken, das Wrack ergreifen, hochholen und von unten in den Schiffsbauch aufnehmen. – «Absurd!», riefen die CIA-Männer. Doch Grahams Konzept hielt allen Fragen stand. Wie handhabt man ein 5 Kilometer langes Stahlrohr auf einem Schiff? Es würde aus etwa 600 Teilstücken à 9Meter Länge über einen Stahlturm auf Deck eingefädelt, verschraubt und würde auf diese Weise peu à peu nach unten wachsen. – Es gebe noch viel zu tun, sagte Graham, aber im Prinzip könne es so funktionieren. Global Marine war also an Bord – und würde weitere Subunternehmen und Zulieferer unter seinem Namen engagieren. Allerdings durften nur die wenigsten wissen, was sie da bauten.
Auch Graham wusste nicht von Anfang an, was genau da eigentlich vom Meeresboden geholt werden sollte. Rohstoffe, so lautete die diffuse Ansage. Während sein Chef Crooke im Bilde war, zögerte die CIA, den Chefingenieur einzuweihen. Es gab einen Fleck in Grahams Vita, der ihn zum Risikofaktor machte: Er war Alkoholiker, zwar seit mehr als zehn Jahren trocken und ein engagiertes Mitglied der Anonymen Alkoholiker, aber Sucht ist normalerweise ein Ausschlusskriterium für die Beteiligung an schwarzen Operationen. Doch Crooke wusste, dass es ohne Graham nicht gehen würde. Als er letztlich eingeweiht wurde, rief er, er habe gewusst, dass etwas Durchgeknalltes an diesem Projekt sei.
Nun begann der zweite, ebenso monströse Teil dieser Mission. Wie sollte man in Zeiten, in denen sich die Supermächte mit Argusaugen belauerten, plausibel machen, warum ein Schiff von verdächtigem Ausmass wochenlang mitten im Nordpazifik dümpelte? Wie sollte man den Akt des Bergens verbergen bei diesen kolossalen Gerätschaften? Und zwar ausgerechnet in jener Seeregion, wo vor nicht langer Zeit ein sowjetisches U-Boot vom Meer verschluckt worden war? Die Rechtslage war eindeutig: Ein gesunkenes Schiff gehört weiterhin dem Flaggenstaat. Es vom Meeresgrund zu pflücken, ist ein Akt der Piraterie. Er könnte – und das war das grösste Risiko von Projekt «Azorian»: einen Krieg entflammen. Sowohl in der Navy als auch im Verteidigungsministerium und in der Regierung gab es deshalb starke Gegner.
Welche Lüge war derart belastbar?
Zur Erarbeitung und vor allem Aufrechterhaltung der Tarnung wurde ein selbst für die CIA ungewohnt hoher Aufwand getrieben. Die Aufgabe oblag grundsätzlich dem sogenannten «perception management», Management der Wahrnehmung, und war in diesem Fall hochkomplex, zumal der Geheimdienst mit diversen Industrieunternehmen zusammenarbeiten würde, die auf keinen Fall eingeweiht werden durften. Es musste also einen öffentlichen – «weissen» – Teil der Operation geben, wie es im CIA-Jargon heisst, und einen überschaubaren schwarzen, die beide perfekt ineinandergriffen. Welche Lüge taugte dafür? Welche war derart belastbar?
In den 1970er Jahren wuchs das Interesse an Rohstoffen aus der Tiefsee, Erdöl wurde bereits aus dem Meer gefördert. Doch wie ein Bohrschiff würde dieses Schiff nicht aussehen. Ganz abgesehen davon, dass es in der Region kein Erdöl gab. Was es dort gab, und zwar in rauen Mengen, waren Manganknollen, die wie verkohlte Blumenkohlköpfe auf dem Meeresgrund lagen und Erze versprachen. Niemand wusste, wie ein Schiff zur Ernte von Manganknollen aussehen würde, Graham konnte seiner Phantasie freien Lauf lassen. Das war ideal!
Doch Global Marine war zu klein, um als Schein-Auftraggeber herzuhalten. Es bedurfte eines Vertreters der Privatwirtschaft, der reich und exzentrisch genug war, um glaubwürdig ein solches Ansinnen zu verfolgen. Einer wie Howard Hughes, Erbe der Hughes Tool Company, Flugzeugpionier, Filmemacher, Frauenheld. Und seit knapp zwei Jahrzehnten kaum noch in der Öffentlichkeit, da ihn seine manische Angst vor Bazillen und seine Abhängigkeit von Opiaten dazu getrieben hatten, sich in seine Gemächer zurückzuziehen, wo er angeblich von morgens bis abends Filme guckte. Sein Management, bekannt als Mormonen-Mafia, war überaus angetan von der Idee, mit der CIA zusammenzuarbeiten. Das war sie, die Cover-Story: Howard Hughes will im Nordpazifik Manganknollen fördern und lässt bei Global Marine ein Schiff bauen – die «Hughes Glomar Explorer». Im Herbst 1970 gab Präsident Richard Nixon die Bewilligung, «Azorian» auszuführen.
Die zwei kompliziertesten Komponenten des Schiffes waren das Schwerlastsystem und der Hubkompensator. Ersteres musste das kolossale Gewicht des Stahlrohrs, der Kralle und des U-Boots tragen: insgesamt etwa 10000 Tonnen. Und Nummer zwei, der Hubkompensator, sorgte dafür, dass all das seelenruhig im Wasser schwebte, auch wenn das Schiff vom Seegang bewegt wurde. Beide Systeme hingen von einem dritten Schlüsselelement ab: einer kardanisch – also allseitig drehbar – gelagerten Plattform auf Deck, auf der der Stahlturm stehen würde. Genau wie eine Herdplatte in der Schiffsküche durfte Wellengang sie nicht aus der Horizontalen bringen.
Graham entwarf das grosse Ganze und delegierte die Konstruktion der einzelnen Komponenten an diverse Firmen und Expertengruppen, die er instruierte und überwachte. Er kannte jedes Detail. Das Schiff wurde auf der Sun Shipbuilding Yard in Philadelphia gebaut, die Kralle von Lockheeds in Kalifornien, die Software für das «Automatic Station Keeping» lieferte Honeywell in Seattle. Ein Mammutprojekt unter grösstem Zeitdruck. Die regelmässigen Treffen der Ingenieure, Schiffbauer und Techniker fanden streng geheim statt, direkter Kontakt mit der CIA war verboten. Es war die Zeit der Telefonzellen und Laufburschen.
Um die Profile der CIA-Leute auf Reisen flach zu halten, hatte ein für die Tarnung zuständiger Mitarbeiter sich etwas Bizarres ausgedacht. Die Ingenieure nannten es den «James-Modus-Operandi»: Beim Einchecken in die Hotels einer bestimmten Kette sowie bei mehreren Autovermietern sollten sie nur behaupten, Bob James zu heissen, und würden ohne weitere Formalitäten einen Schlüssel ausgehändigt bekommen. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass manchmal mehrere Ingenieure gemeinsam reisten. Dave Sharp erinnert sich, wie sie einmal am Flughafen bei einem Autovermieter anstanden und der Mitarbeiter beim zweiten Bob James irritiert aufblickte. Ob da noch mehr seien? Fünf Männer hoben die Hand, ein kleiner Dicker rief schlagfertig: «Wir sind eine Akrobatiktruppe: ‹The Flying James Boys›», was den Mann allerdings noch mehr zu irritieren schien.
Parangosky litt darunter, dass er die Werft in Philadelphia nicht besuchen konnte; es wäre zu riskant gewesen, als CIA-Mann auf einer Werft aufzutauchen. Er schickte einen Vertreter, der an allen Sitzungen teilnahm und ihm über den Produktionsverlauf berichtete. Graham hatte das gar nicht gern. Das Mastermind duldete keine Kontrolle. Als JP und er deswegen aneinandergerieten, rief JP: «Du behandelst mich wie einen Spion.» Graham sah ihn verwundert an: «Well... Das bist du doch auch, oder nicht?»
Graham zerfiel vor aller Augen
Er arbeitete 18 Stunden am Tag, zündete eine Zigarette an der letzten an. Vor allem der «Moonpool» bereitete ihm schlaflose Nächte – dieser riesige leere Bauch in der Mitte des Schiffes, gross wie eine Turnhalle, in den die «Hughes Glomar Explorer» sich das U-Boot einverleiben sollte. Nur ein einziger Fehler, und dieses Schiff würde auf hoher See in der Mitte durchbrechen. Die «Explorer» war das Projekt seines Lebens, sein Baby. Doch während das Schiff in den Himmel wuchs – sein Turm, hoch wie ein 24-stöckiges Gebäude, war bald von überall in der Stadt zu sehen –, zerfiel Graham vor aller Augen. Zum Ende der Bauarbeiten kam er kaum noch die Gangway hoch, er litt unter Atemnot. Als die «Hughes Glomar Explorer» im Juli 1973 mit einem Festakt an Global Marine übergeben wurde, wurde bei Graham Lungenkrebs diagnostiziert.
50 Tage dauerte der Transit von der Ostküste Amerikas an die Westküste, wo Probefahrten und Testläufe stattfinden sollten. Da die «Explorer» nicht durch den Panamakanal passte, musste sie den langen Weg rund um Südamerika nehmen, 20000 Kilometer, durch die Magellanstrasse hindurch, mit einem Stopp in Chile. Als die «Explorer» in den Hafen von Valparaíso einfuhr, hörte die Crew Granatfeuer in der Stadt: Das Militär putschte gegen Salvador Allende, es war der 11.September 1973. Chilenische Offiziere kamen an Bord, stellten ein paar Fragen und liessen die «Explorer» wie geplant am nächsten Tag weiterfahren. Noch war sie ein Bergbauschiff, unverdächtig, nur der Moonpool gespenstisch leer.
In Long Beach wurde es ernst, das Schiff wurde von weisser auf schwarze Konfiguration umgerüstet. 24 Stahltransporter lieferten Spezialausrüstung an PierE, darin unter anderem das Kontrollzentrum zur Bedienung der Kralle, Gerätschaften zur Dekontamination und Trocknung von radioaktivem Material aus dem U-Boot, eine Wetterstation, ein abhörsicheres Kommunikationssystem. Die Zeit drängte; es galt ein Wetterfenster in Juli und August zu erreichen, bevor die Herbststürme die Operation unmöglich machten. Doch Streiks der Gewerkschaft für Schiffsingenieure verzögerten über Wochen die dringend notwendigen Probefahrten und Testläufe.
Im Februar endlich wurde die Kralle in die «Explorer» integriert – wie eine Art Geburt in umgekehrter Richtung. Der extra zu diesem Zweck gebaute Leichter – ein schwimmendes Trockendock, in dem die Kralle auch gebaut worden war – wurde in einer Bucht nahe Catalina Island abgetaucht, die «Explorer» oben drüber manövriert, ihre gigantischen Bodenluken geöffnet, das Rolldach des Leichters ebenfalls, und so konnte die Kralle, von ihren Ingenieuren liebevoll «Clementine» genannt, direkt in den Bauch des Mutterschiffs auftauchen. Nur wenige hundert Meter entfernt fuhren Segelboote vorbei, Menschen spielten am Strand.
Während alle Beteiligten unter Hochdruck arbeiteten, wurde «Azorian» im Weissen Haus und im Verteidigungsministerium immer wieder infrage gestellt; es herrschte Uneinigkeit in der Einschätzung des Risikos. 1972 hatten sich die Supermächte im Salt-I-Vertrag auf die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme geeinigt, Präsident Nixon sollte Ende Juni, Anfang Juli 1974 zu weiteren Abrüstungsverhandlungen nach Moskau reisen; es ging um Salt II. Unter der Bedingung, dass die Bergung erst stattfand, wenn er aus der Sowjetunion zurück war, gab die «highest authority» eine Woche vor dem geplanten Starttermin grünes Licht. Das Papier mit «höchste Autorität» statt dem Namen zu zeichnen, liess dem Präsidenten die Möglichkeit, im Zweifel zu behaupten, er habe nichts gewusst. Eine gängige Praxis.
Graham kam während einer Probefahrt noch einmal an Bord, nur noch ein Schatten seiner selbst. Dave Sharp, mittlerweile Direktor für die Bergung, sagte ihm: Es sei ein Meisterwerk. Er könne stolz sein. Graham wandte sich ab, Tränen liefen ihm über die Wangen. Er wäre gern mitgekommen. Endlich war es so weit. Die Crew wurde von Euphorie erfasst, gemischt mit Angst. Was, wenn die Russen kommen, Zutritt verlangen, angreifen? Was, wenn das Schiff durchbricht? Diese Operation habe enormes Potenzial für eine Katastrophe gehabt, schreibt Sharp.
Zwei Wochen dauerte die Fahrt zur Ruhestätte der «K-129». Bis zur letzten Minute wurde an der Software aller Systeme gearbeitet, versucht, die zahlreichen Störungen der Probeläufe zu korrigieren. Im Kontrollraum wurde rund um die Uhr die Bergung am Simulator geübt. Kein einziges Mal hatte man die vollständige Montage des Stahlrohrs testen können. An Bord befanden sich 176 Männer: Köche, Bäcker, Ärzte, Ingenieure, Schweisser, Informatiker, Seeleute, CIA-Agenten, ein Meteorologe und – sehr wichtig – 13 Taucher, fit wie Olympioniken. Einer, ehemaliges Mitglied der Elitetruppe Navy Seal, meditierte täglich eine Stunde an Deck bei Sonnenuntergang.
«Tag 15 (Donnerstag, 5.Juli 1974), 13.06 Uhr: Am Manganknollen-Testgelände», so steht es im Logbuch. Das Schiff wurde exakt über dem Zielobjekt positioniert, die Instrumente für das «Automatic Station Keeping» kalibriert, sämtliche Systeme überprüft und startklar gemacht. Doch schlechtes Wetter war angesagt, zu stürmisch, um die Luken zu öffnen. Warten also. Am sechsten Tag vor Ort war es endlich so weit: Clementine sollte ausgedockt werden. Und das funktionierte so: Die beiden Luken am Schiffsboden wurden geöffnet, der Moonpool geflutet und Clementine, gehalten von zwei «Docking Legs», bis zu 33 Meter unter das Schiff abgesenkt. Erst dort würde das Gewicht langsam an das Stahlrohr übertragen werden. Ein heikler Moment der Operation.
Clementine taucht ab
Jeder einzelne Schritt dauerte länger als geplant, und als Clementine endlich unter dem Schiff hing, noch immer gehalten von den Docking Legs, kündigte sich ein Sturm an. Nichts ging mehr. Die gesamte Konstruktion wurde gründlich durchgeschüttelt, und als der Wind nach Tagen abflaute, musste Clementine zurück an Bord, um repariert zu werden. Ein Ingenieur erlitt einen Herzinfarkt, tagelang dicker Nebel, auch in den Herzen. Unentwegt tönte das Nebelhorn. Da entdeckte der Steuermann auf Radar ein Schiff. Als sich der Nebel lichtete, lag weniger als eine halbe Meile entfernt die russische «Tschaschma», ein Militärschiff, von dem wenig später ein Helikopter abhob, der die «Explorer» umkreiste und fotografierte. Ein Teil der Crew brüllte Buhrufe in den Himmel und zeigte den nackten Hintern.
Nächster Versuch: Diesmal gelang es, Clementine von den Docking Legs zu lösen und an das Stahlrohr zu übergeben, das in einer imposanten Choreografie zwischen Mensch und Maschine Stück für Stück montiert wurde und Clementine zum Meeresgrund absenkte. Unter dem Schiff verbanden Taucher rund um die Uhr die elektromechanischen Kabel. Nach 5 Tagen und zahllosen Komplikationen vermeldeten die Sensoren an der Kralle das U-Boot, Kameras zeigten es in schockierender Klarheit. Die Landung war vorbildlich, aber der Boden sehr viel härter als gedacht, nur mit Gewalt gelangten die Zinken der Kralle unter den Körper, doch irgendwann war es so weit: Fest umschlungen von Clementine, begann für «K-129» der Aufstieg. Es war zu schön, um wahr zu sein. Nur kurz darauf kollabierte der Hubkompensator, die Kralle musste wieder abgesenkt werden.
20 Stunden lag Clementine am Meeresboden, «K-129» in der Faust, wofür sie so wenig geschaffen war wie die halbgeöffnete Faust eines Menschen für 20 Stunden Liegestütz. Der Hubkompensator war hinüber; es war nicht länger möglich, das Stahlrohr von den Schiffsbewegungen zu isolieren. An Deck lagen die Nerven blank. Nachdem die «Tschaschma» abgezogen war, war ein russischer Trawler aufgetaucht, der die «Explorer» immer aggressiver umkreiste, kreuzte, provozierte. Die «Explorer» funkte unablässig das sogenannte D-Signal, um deutlich zu machen, dass sie nicht manövrierfähig war, doch die Russen liessen nicht ab. Die 48 Hochdruck-Hydraulikpumpen des Schwerlastsystems machten einen Höllenlärm, stündlich musste untersucht werden, ob der Schiffsrumpf Risse zeigte. Der Aufstieg hatte erneut begonnen, «K-129» kam immer näher, es würde nur noch ein, zwei Tage dauern, bis sie auftauchte. Sharp wollte gerade mit einem Kollegen an Deck einen Morgenkaffee trinken, als ein Ruck durch das Schiff ging – wie ein kleines Erdbeben.
Die Bilder auf den Bildschirmen im Kontrollraum belegten bald, was Sharp befürchtet hatte: Sie hatten Ladung verloren. Ein grosses Stück des U-Bootes war abgebrochen und zurück auf den Meeresboden gefallen, auf halbem Weg nach oben, auf den allerletzten Metern nach sechs Jahren Marathon. Die Information ging unverzüglich an das CIA-Headquarter in Langley, Virginia. Parangosky hatte alle Mühe, seinen Vorgesetzten, der am Boden zerstört und völlig ausser sich war, davon abzuhalten, der «Explorer» den Befehl zu geben, es sofort noch einmal zu versuchen.
Währenddessen kämpften Sharp und seine Leute darum, das, was Clementine noch festhielt, an Bord zu holen. Gute 12 Meter Wrack. Der Trawler der Russen, der die «Explorer» wie eine Stechmücke umkreiste, war weniger als 40 Meter entfernt, als eine Miniportion ihrer Streitmacht sich quasi vor ihren Augen der Oberfläche näherte. Hätten sie einen Taucher geschickt, hätte der seinen Augen nicht getraut. Doch Clementine konnte nicht mehr warten, schreibt Sharp, sie musste jetzt an Bord geholt werden. Und so geschah es.
Noch während das Wasser aus dem Moonpool gepumpt wurde und den Blick auf den grauen Zylinder freigab, trat die «Explorer» die Rückreise an, nach 50 Tagen auf See. Die Experten für die Aufbereitung des Funds begannen sofort mit der Arbeit, ein penetranter Geruch drang bald in alle Ecken des Schiffes. In dem Wrackteil befanden sich auch die Leichen von sechs Matrosen der «K-129». Vor der Insel Maui in Hawaii ging die «Explorer» vor Anker, ein Grossteil der Crew durfte nach Hause fliegen, das B-Team für die Aufbereitung kam an Bord und – zu Sharps Überraschung – auch ein sogenanntes «Tiger Team», um die Ursachen des Scheiterns zu ermitteln. Auch Curtis Crooke von Global Marine kam zu Besuch und brachte Sharp eine kleine Box mit. Darin fand sich ein Plastiksack mit Asche und kleinen weissen Knochen, es waren die Überreste von John Graham. Er war kurz nach Abfahrt der «Explorer» gestorben, im Krankenhaus zuletzt streng bewacht von der CIA, die Sorge hatte, dass er unter Einfluss von Medikamenten Geheimnisse preisgeben würde. Graham wünschte sich eine Seebestattung von der «Explorer».
Als der erste Schock verdaut war, beschlossen Regierung und CIA, im folgenden Sommer einen zweiten Versuch zu unternehmen, die Vorbereitungen begannen sofort. Doch die politische Wetterlage änderte sich, Nixon stürzte über die Watergate-Affäre, und die Operation wurde, eine Woche bevor die «Explorer» ein zweites Mal in See stach, abgebrochen. Im Februar 1975 hatte die «Los Angeles Times» mit der Schlagzeile «U.S. reported after Russ Sub» aufgemacht, darunter ein Foto der «Hughes Glomar Explorer»; «Azorian» war aufgeflogen.
Bereits ein Jahr zuvor hatte Seymour Hersh, ein investigativer Journalist der «New York Times», von der Sache Wind bekommen und den Direktor der CIA mit Fragen konfrontiert. Der hatte an Hershs Patriotismus appelliert und ihn gebeten, die Geschichte zurückzuhalten, bis die Operation gelaufen war. Hersh hielt sich dran, doch nun, da die «Los Angeles Times» mit der Geschichte herausgekommen war, war bald kein Halten mehr. Andere Medien folgten. Die CIA wurde mit Anfragen bombardiert. In diesen Tagen entwickelte sie eine Formulierung, die – bekannt als «Glomar Response» – zum Klassiker avancieren sollte: «We neither confirm nor deny...» – Wir können die Existenz der ersuchten Informationen weder bestätigen noch leugnen.
Im Oktober 1992, der Eiserne Vorhang war gefallen, besuchte zum ersten Mal ein Chef des amerikanischen Geheimdienstes den Kreml. Als Symbol zum Auftakt einer neuen Ära übergab er Boris Jelzin ein Video. Zu sehen war darauf die Seebestattung der sechs Matrosen der «K-129», die mit dem Wrackteil geborgen worden waren. Die amerikanische Crew war weiss gekleidet, Flaggen beider Staaten hingen nebeneinander hinter dem Stahlcontainer, der als Sarg diente, die Nationalhymnen beider Staaten wurden gespielt, Gebete auf Englisch und Russisch gesprochen, den Toten Respekt und Ehre erwiesen.
John Parangosky ging nach Abschluss von «Azorian» mit 55 Jahren in Pension. Sharp erzählt, dass JP noch geheiratet habe, was aber nicht lange hielt. Danach widmete er sich wieder seiner Violine und der französischen Küche. Sharp selbst blieb noch einige Jahre bei der CIA, bevor er sich als Berater selbständig machte. 2012 publizierte er sein Buch, «The CIA’s Greatest Covert Operation», nachdem er jahrelang mit dem Geheimdienst um die Freigabe des Manuskripts gerungen hatte. Viele Informationen sind bis heute unter Verschluss. Sharp ist jetzt 84, noch immer gesund, wie er sagt – und er schreibt Gedichte. Und noch immer spricht er gern über «Azorian», das Abenteuer seines Lebens, das jetzt auch verfilmt werden soll. Auf die Frage, wie er es finde, dass das politische Klima zwischen Russland und den USA abkühle und das Wettrüsten wieder loszugehen scheine, antwortet er: «Restricted by security.»
Hintergrund der Recherche
Jar. Seit Erscheinen der ersten Artikel über Projekt «Azorian» im Jahr 1975, die voller Widersprüche und Fehler waren, haben zahlreiche Journalisten und Autoren das Thema immer wieder aufgegriffen. Spekulationen und Verschwörungstheorien schossen ins Kraut. Erst seit die Beteiligten anfingen, ihre Erinnerungen aufzuschreiben – wie William Colby in «Honorable Men», von 1973 bis 1976 Direktor der CIA, Anatoly Dobrynin in «In Confidence», von 1968 bis 1982 russischer Botschafter in den USA –, lässt sich die Geschichte peu à peu wahrheitsgemäss erzählen.
Nach der Jahrtausendwende recherchierte der englische Filmemacher Michael White vier Jahre lang zu diesem Thema und interviewte viele der beteiligten Ingenieure von Global Marine, Lockheed, Honeywell und anderen Firmen. Auch sprach er mit Admiral V. A. Dygalo, Divisionskommandeur der U-Boot-Flotte. White gelangte in den Besitz des Bergungslogbuches der «Hughes Glomar Explorer» sowie an Originalunterlagen der Sowjets. Für seine Dokumentation «Azorian – The Raising of the K-129» liess er diverse Teile der Operation – basierend auf den korrekten Daten – mit animierten Computergrafiken akribisch rekonstruieren. Nachdem sein Film 2009 erschienen war, gab die CIA 2010 ein 50-seitiges Manuskript frei, in dem Projekt «Azorian» für den internen Gebrauch beschrieben worden war. 2012 publizierte David H. Sharp, der «Azorian» von Anfang bis Ende in zentralen Positionen mitgestaltet hatte, nach jahrelangem Ringen mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin CIA seine Erinnerungen in einer akribischen, mit Quellen belegten Dokumentation. Auf Sharps Buch, Whites Film, dem von der CIA freigegeben Material sowie Gesprächen mit White und E-Mail-Korrespondenz mit Sharp basiert dieser Text.
Odd Arne Westad
Ronald D. Gerste, Washington
Jürg Dedial
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