„Project Azorian“: 500 Millionen Dollar für ein sowjetisches Wrack - WELT (2024)

Das Raketen-U-Boot K-129 der sowjetischen Marine sank im März 1968 im Nordpazifik. Nachdem die Amerikaner das Wrack lokalisiert hatten, begann die teuerste bis dahin gestartete Bergungsaktion. Ein spleeniger Milliardär half.

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Die Katastrophe wurde registriert, aber zunächst nicht beachtet. Am 8. März 1968 zeichnete das Sosus-System der US-Navy, das weltweit getauchte U-Boote akustisch verfolgte, ein ungewöhnliches Geräusch im nördlichen Pazifik auf – 5400 Kilometer westlich von Long Beach, 2900 Kilometer nordwestlich von Hawaii und 2000 Kilometer östlich der sowjetischen Marinebasis Petropawlowsk.

Doch erst einmal beachtete niemand bei der US Navy diese Aufzeichnung. Erst als die sowjetische Marine in der dritten Märzwoche ein Großaufgebot an U-Booten und Überwasserschiffen ins Meeresgebiet nordwestlich des Midway-Atolls schickte und offenbar nach einem gesunkenen U-Boot suchte, rückten die Sosus-Aufzeichnungen in den Mittelpunkt des Interesses des Navy-Geheimdienstes.

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Schnell identifizierten die amerikanischen Lauschspezialisten in der Marinebasis Pearl Harbor auf ihrem Band vom 8. März ein „isoliertes, einzelnes Geräusch wie von einer Explosion oder Implosion“, einen „Bang von guter Größe“. Nachdem nun klar war, wonach gesucht werden musste, fanden auch die Spezialisten der Sosus-Station in Alaska sowie deren Kollegen von der Air Force auf ihren Bändern entsprechende Geräusche. Mithilfe der unterschiedlichen Laufzeiten des Geräusches zu den Mikrofonen und den genauen Uhrzeiten der Aufzeichnung konnte der Ursprung des Geräusches bis auf fünf Seemeilen genau bestimmt werden – an einer Stelle, die Hunderte Meilen vom Suchgebiet der sowjetischen Marine entfernt war.

So rasch wie möglich wurde das speziell ausgerüstete Atom-U-Boot USS „Halibut“ in diesen Teil des Pazifiks geschickt, und tatsächlich fand der Tiefseetauchroboter dieses gesunkene Boot am 20. August 1968 in einer Tiefe von 4900 Metern auf dem Grund des Nordpazifiks. Es handelte sich um ein dieselelektrisches Boot, das K-129: rund 100 Meter lang, 1750 Tonnen schwer und mit drei ballistischen Atomraketen und mehreren Nukleartorpedos bestückt.

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Mit mehr als 20.000 Fotos des in mehrere Teile zerbrochenen Wracks aus wirklich allen denkbaren Perspektiven kehrte die „Halibut“ zurück. Zuerst plante die Navy, mit speziellen Tiefseetauchbooten und stärkeren Tauchrobotern Proben aus dem Wrack zu nehmen und alle interessanten beweglichen Teile zu bergen. Doch dann kam irgend 1969 ein CIA-Mitarbeiter auf die Idee: „Warum nicht das ganze Wrack bergen?“ Zumindest aber den größten einigermaßen intakten Teil, die gut 40 Meter lange Bugsektion?

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Der US-Präsident Richard Nixon genehmigte das Vorhaben im Sommer 1969, und die CIA legte los. Das Projekt bekam zur Täuschung den selbst streng vertraulichen Decknamen „Project Azorian“; zudem wurde eine neue Geheimhaltungsstufe eingeführt: Nur wer für das Codewort „Jennifer“ freigegeben war, durfte Einzelheiten erfahren. Im Weißen Haus waren das genau zwei Personen: Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger; nicht einmal Vizepräsident Spiro Agnew war eingeweiht, jedenfalls offiziell nicht.

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Bis zum Oktober 1970 dauerte es, bis Ingenieure, die zum Teil bewusst unzutreffende Informationen über den beabsichtigten Zweck erhalten hatten, eine Möglichkeit zur Bergung der Wrackteile aus fast fünf Kilometer Tiefe konzipiert hatten: Man brauchte ein Stahlgerüst mit hydraulisch bewegten Greifern, das aus einem eigens zu bauenden, 189 Meter langen und 35 Meter breiten Spezialschiff in die Tiefe herabgelassen werden sollte.

Um das Vorhaben zu tarnen, bediente man sich eines Tricks: Das Schiff mit dem Namen „Glomar Explorer“ wurde offiziell im Auftrag des Milliardärs Howard Hughes gebaut, bekannt gleichermaßen für seine verrückten Einfälle wie für seinen legendären Riecher für neue Geschäftsmodelle. Vermeintlich wollte der spleenige Superreiche damit Mangan-Knollen in der Tiefsee „ernten“, um die darin enthaltenen Erze zu vermarkten.

Die Kosten waren enorm: 350 Millionen US-Dollar allein für das Schiff, insgesamt sicher mehr als 500 Millionen – vorsichtig geschätzt nach heutigem Wert etwa 7,5 Milliarden. Es war die mit Sicherheit teuerste Bergungsaktion, die bis dahin gewagt worden war.

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Am 7. Juni 1974 genehmigte Nixon persönlich den Start der eigentlichen Bergungsmission – allerdings unter der Bedingung, dass die „Glomar Explorer“ ihre Arbeit erst nach seiner Rückkehr vom Gipfeltreffen in Moskau aufnehmen sollte, das am 27. Juni beginnen und am 3. Juli 1974 enden sollte.

Die CIA hielt sich an die Weisung. Die „Glomar Explorer“ erreichte das Suchgebiet am 4. Juli 1974, keine 24 Stunden nachdem Nixon aus Moskau abgeflogen war. Sofort begannen die Bergungsarbeiten, allerdings kritisch beäugt von wechselnden sowjetischen Schiffen. Als dort ein Hubschrauber abhob, wies der Kapitän der „Glomar Explorer“ seine Besatzung an, alle einigermaßen freien Flächen des Schiffs voll zu stellen, um eine eventuell beabsichtigte Landung zu behindern. Eine Trägergruppe der Navy stand zwar am Rande der Reichweite ihrer Flugzeuge bereit, sollte aber möglichst nicht eingreifen.

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Zufällig am 8. August 1974, dem Tag, an dem Richard Nixon als bisher einziger Präsident der USA seinen Rücktritt bekannt gab, schlossen sich die Greifer um das Wrack der K-129 auf dem Meeresgrund. Allerdings gibt es unterschiedliche Darstellungen. Laut der einen Version wurde in dieser ersten Phase bewusst nur die Bugsektion geborgen. Nach einer anderen sollte das gesamte schwerbeschädigte Wrack angehoben werden, doch sei der hintere Teil beim langsamen Anheben vom Grund des Pazifiks abgebrochen. Da die darüber veröffentlichten CIA-Berichte in vielen Details geschwärzt sind und die Erinnerungen von tatsächlich oder angeblich beteiligten Gewährsleuten widersprüchlich, ist dies bis auf Weiteres nicht zu entscheiden.

Einigermaßen gesichert erscheint, dass die „Glomar Explorer“ mit der Bugsektion in ihrem Rumpf nach Hawaii fuhr. Darin fand man bei der Untersuchung mehrere sowjetische Atomtorpedos. Nicht geborgen werden konnten hingegen der Mittelteil der K-129 mit der Brücke, dem Funkraum, den dort mutmaßlich aufbewahrten Chiffriergeräten und mindestens einer intakten SS-N-5-Atomrakete. Das Boot der Klasse 629, im Nato-Code „Golf“ genannt, besaß im hinteren Teil des Turms Startrohre für drei solche Flugkörper, die jeweils einen Atomsprengkopf von bis zu einer Megatonne bis zu 1400 Kilometer weit tragen konnten.

Dass eine SS-N-5 den Untergang überstanden hatte, bewiesen die Fotos der USS „Halibut“. Nur geborgen werden konnte die 16,6 Tonnen schwere Rakete nicht. Jedenfalls soweit man den durchgesickerten oder lancierten Informationen glaubt.

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In der Bugsektion waren die Leichen von sechs sowjetischen Seeleuten gefunden und im September 1974 auf See bestattet worden. Wie die geborgenen Teile von K-129 auch, waren sie radioaktiv verseucht. Verlässliche Details über die Herkunft der Strahlung sind nicht verfügbar, dafür umso mehr Spekulationen. Sie führen direkt zur Frage nach den Ursachen für die Explosion am 8. März 1968.

Abseits verschiedener Verschwörungstheorien gibt es zwei einigermaßen schlüssige Erklärungen. Nach der einen konnte beim Laden der Batterien durch Schnorchelfahrt eine Fehlfunktion gegeben haben, durch die Wasserstoff freigesetzt worden sein könnte. Zusammen mit Sauerstoff entsteht Knallgas, das keineswegs so ungefährlich ist, wie der Name zu signalisieren scheint. Bei der Explosion des Gasgemischs könnte einer der Sprengköpfe der Nukleartorpedos beschädigt worden sein, sodass das Plutonium daraus das Boot verseuchte. Die andere wahrscheinliche Möglichkeit geht von einer Fehlfunktion in einer der Raketen aus. So ein Unfall führte nachweislich am 3. Oktober 1986 zum Verlust des atomgetriebenen Raketen-U-Boots K-219 nordöstlich der Bermuda-Inseln.

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Dagegen sind Spekulationen über eine angebliche Kollision mit einem US-U-Boot oder über eine explodierte Sicherheitsschaltung beim Versuch, unautorisiert eine scharfe Atomrakete abzufeuern, nicht haltbar. Die USS „Swordfish“ kam zwar im März 1968 mit einem verbogenen Periskop zurück in den Hafen, aber dadurch wäre K-129 nicht versenkt worden. Und wenn jemand von K-129 tatsächlich unautorisiert eine Rakete hätte abfeuern wollen – auf welches Ziel? Innerhalb der Reichweite der SS-N-5 um die Unglücksstelle gab es nicht nur kein lohnendes, sondern gar kein Ziel.

Schon 1975 wurde die Geschichte des „Project Azorian“ bekannt. Der Journalist Seymour Hersh veröffentlichte in der „New York Times“ einen großen Bericht, der erstaunlich viele Details korrekt wiedergab. Es folgten weitere Artikel. Ganz unglücklich wird die CIA nicht gewesen sein, zeigte das weitgehend gelungene Projekt doch, zu welchen Leistungen der Geheimdienst in der Lage war. 1993 händigte der US-Botschafter in Moskau die Schiffsglocke der K-129 der inzwischen russischen Marineführung aus – ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe.

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